- französische Malerei des 18. Jahrhunderts: Koketterie und Anmut
- französische Malerei des 18. Jahrhunderts: Koketterie und AnmutDer Tod Ludwigs XIV. 1715 und die anschließende Regentschaft Herzog Philipps II. von Orléans hatten einen tief greifenden Wandel im französischen Kulturleben zur Folge: Die Kunst wurde von nun an nicht mehr vorrangig in den Dienst des höfischen Absolutismus gestellt. Eine neue Schicht wohlhabender Kenner und Mäzene gewann neben Hof und Adel an Bedeutung; sie schätzte statt der zeremoniellen Kunst der alten Zeit eine geistreiche, heitere und anmutige Malerei, die dem verfeinerten Genuss und der eleganten Ausstattung des Alltags entgegenkam. Nach wie vor galten die großen italienischen Meister des 16. und 17. Jahrhunderts als vorbildlich, auch wenn ihr Einfluss im liberaleren Klima zurücktrat. Die »Académie Royale de Peinture et de Sculpture« selbst revidierte um 1700 ihre einseitige, klassizistische Doktrin. Die alte Debatte zwischen »Poussinisten« und »Rubenisten« über den Vorrang von Zeichnung oder Farbe in der Malerei schien überwunden, das Bewusstsein der Gleichwertigkeit und Eigengesetzlichkeit künstlerischer Ausdrucksmittel nahm zu. Man orientierte sich nun stärker am Kolorismus der Venezianer und setzte sich zudem mit den Niederländern und Flamen auseinander.Antoine Watteau gilt als der bedeutendste Künstler dieser Epoche. In vielen seiner Bilder vergnügt sich eine elegante, in Fantasie-, Schäfer- oder Theaterkostüme gekleidete Gesellschaft in parkähnlichen Landschaften. Diese träumerischen, der Realität entrückten Bildwelten stehen jenseits der traditionellen Gattungen. Deshalb wurde Watteau als Maler der »Fête galante«, des sinnenfrohen Gesellschaftsstücks, eines eigens für ihn eingerichteten Fachs, Mitglied der Akademie. Watteaus Kunst verbindet Elemente der Pastorale mit der mythologischen Vorstellung eines glückseligen Arkadiens. An Watteau knüpften Nicolas Lancret und Jean-Baptiste Pater an.Die künstlerisch und institutionell dominierende Figur der französischen Rokoko-Malerei war zweifellos François Boucher, der Erste Maler Ludwigs XV., Leiter der Gobelin-Manufaktur und Akademiedirektor. Seine mythologischen Szenen, Pastoralen und Landschaften, seine Genrebilder und Porträts zeichnen sich durch malerische Delikatesse, koloristischen Reiz und ausgesprochen dekorative Qualitäten aus. Boucher verstand es, Elemente verschiedener Gattungen und Motivtraditionen souverän zu verschmelzen. Vor allem aber zeigte er sich als Meister des weiblichen Akts. Die Vorzüge seiner Kunst vermittelte Boucher seinem Schüler Jean Honoré Fragonard, der in der geistreichen Formulierung selbst gewagter erotischer Themen und in der malerischen Virtuosität seinen Lehrer noch übertraf. Fragonards »Fantasieporträts« sind wie Ölskizzen mit lockerer Pinselführung bravourös gemalt und lenken damit das Interesse auf die geniale künstlerische Handschrift.Die französische Porträtmalerei des 18. Jahrhunderts kennzeichnet ein stilistischer Pluralismus, der nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Funktionen der Bildnisse zurückzuführen ist. Bei Porträts von Staatsmännern wurden die durch Hyacinthe Rigaud am Anfang des Jahrhunderts gefundenen Lösungen weiter tradiert. Neben Rigaud entwickelte sich der in der Van-Dyck-Nachfolge geschulte Nicolas de Largillière zu dem am höchsten angesehenen Bildnismaler seiner Zeit, der seine Aufträge vor allem aus dem Großbürgertum erhielt. In der Rolle jugendlich-schöner Frauengestalten aus Mythos und Allegorie gefielen sich insbesondere die Damen des Hofes. Jean-Marc Nattier wusste selbst die reizlosen Töchter Ludwigs XV. als Hebe oder Flora zu malen. Insgesamt jedoch tendierte die Malerei zu einer weniger förmlichen Selbstdarstellung und zur Verminderung des repräsentativen Beiwerks. Die Pastelltechnik erlaubte Maurice-Quentin de La Tour und Jean-Baptiste Perronneau eine ebenso spontane wie treffsichere Bestimmung der individuellen Persönlichkeit der Porträtierten, die dem Betrachter in diesen privaten Bildnissen ohne die idealisierten Züge der offiziellen Porträts unmittelbar gegenübertreten.Im 18. Jahrhundert bildete sich eine kunstinteressierte Öffentlichkeit im modernen Sinne heraus. Der Raum der jährlichen Leistungsschau der Akademie, der »Salon Carré« im Louvre, gab ähnlichen Ausstellungen seinen Namen. Wichtigster Vertreter der neuen Kunstkritik war Denis Diderot, dessen theoretische Beiträge den Stil- und Themenwandel der Kunst nach der Jahrhundertmitte begleiteten. Diderot polemisierte gegen die dekorative Malerei des Rokoko mit ihrer Vorliebe für galante Sujets und delikate Frauenakte. Maler wie Fragonard und mehr noch Boucher verschwendeten seiner Ansicht nach ihr künstlerisches Talent an unwürdige und anstößige Gegenstände: »Der Verfall des Geschmacks, der Farbe, der Komposition, der Charaktere, des Ausdrucks, der Zeichnung führt Schritt für Schritt zur Verderbung der Sitten«. Seine Forderung nach moralischen Themen sah Diderot dagegen in der Kunst von Jean-Baptiste Greuze erfüllt. Dessen Szenen aus einem idealisierten Alltagsleben, Darstellungen von Kindesliebe, familiärem Zusammenhalt und Freuden der Mutterschaft, propagierten bereits bürgerliche Werte. Es sind nicht selten Rührstücke, die dem Betrachter die eigene Sentimentalität bewusst machen.Eine neue Vorstellung von der Natur zeigt sich in der Landschaftsmalerei der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Landschaften waren jetzt nicht nur stimmungsvoller Hintergrund galanter Begegnungen oder bühnenbildartige Kombinationen idyllisch-ländlicher Motive. Fragonard und Hubert Robert erhoben vielmehr die naturhaften Kräfte selbst zum Bildthema. Üppig wuchernde Vegetation mit hoch aufragenden Baumkronen, emporschießende Fontänen und Wolkenballungen wurden zu einer motivischen und malerischen Einheit, welche die Menschen vereinnahmt und auch die von ihnen geschaffenen Bauten zurückerobert. Mit seinen Capricci, den in der Fantasie ersonnenen Kombinationen berühmter Bauwerke, regte der von Piranesi beeinflusste Robert - wie auch der Ruinenmaler Charles Louis Clérisseau - die Architektur und Landschaftskunst des Klassizismus an. Die atmosphärischen Aspekte unterschiedlicher Tageszeiten und Lichtsituationen thematisierte Claude Joseph Vernet, der vom König beauftragt wurde, Ansichten französischer Häfen zu malen. Neben dem pittoresken Reiz englischer, walisischer und Schweizer Landschaften zeigte Philippe Jacques de Loutherbourg auch schon Industrieanlagen bei Nacht.Wie die Darstellung alltäglicher Szenen war auch die Stilllebenmalerei des französischen Rokokos von den Niederländern des 17. Jahrhunderts beeinflusst. Ging es Alexandre-François Desportes, der in Themenwahl und Maltechnik flämisch geschult war, noch um die Aneigung der Wirklichkeit und um versteckte Symbolik, so stellte Jean-Baptiste Oudry die brillante Maltechnik ins Zentrum seiner Kunst. In bewusster Abkehr von der bukolischen Welt Watteaus und seiner Schüler malte Jean-Baptiste Siméon Chardin bürgerliche Interieurs, in denen die Akteure in ihr Tun versunken scheinen. Eine hingebungsvolle Intensität der Anschauung erfordern auch Chardins Stillleben in ihrem farblichen Nuancenreichtum und ihrer kompositionellen Balance; ihre Schönheit beruht, wie Diderot betont, auf der Qualität der Malerei und nicht auf der Schönheit der Gegenstände.In der akademischen Hierarchie galt die Historienmalerei, die Ereignisse aus Geschichte, Mythologie und christlicher Heilsgeschichte darstellt, traditionell als vornehmste Bildgattung. Bis zur Jahrhundertmitte waren Historienmaler wie François Lemoyne oder Jean-François de Troy bevorzugt mit dekorativen Aufgaben und galanten Sujets beschäftigt. Unter Madame de Pompadour und ihrem als Intendanten für die staatliche Kunstpflege verantwortlichen Bruder, dem Marquis de Marigny, erlebte die Historienmalerei eine Neubewertung. Eine Reform dieser Bildgattung betrieb dann unter Ludwig XVI. der Intendant Graf d'Angiviller: Im Unterschied zur offiziellen Kunst unter Ludwig XIV. dienten bei Jean Restout, Carle Van Loo oder Charles Joseph Natoire die klassischen Tugendexempel aus Mythos und Geschichte nicht länger nur der Verherrlichung des absoluten Monarchen. Vielmehr sollte die Kunst nun die öffentliche Moral und die patriotischen Ideale fördern.Zugleich deutete ein Stilwandel auf eine Veränderung des Kunstbewusstseins hin. Eine ganze Künstlergeneration, die an der »Académie de France« in Rom geschult war, setzte sich mit der Kunsttheorie und -praxis von Winckelmann und Mengs sowie deren englischen und deutschen Schülern auseinander. Die Schriften des Grafen von Caylus und die Malerei von Joseph Marie Vien förderten die Neuorientierung hin zu einer klassizistisch geprägten Aneignung der antiken und der neuzeitlichen Vorbilder. In den Werken des jungen Jacques-Louis David erschienen dann erstmals die künstlerischen Mittel, die wenig später die Malerei der Revolution und der Napoleonischen Ära bestimmen sollten.Prof. Dr. Michael HesseBusch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. Sonderausgabe München 1997.Hofmann, Werner: Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830. München 1995.Keller, Harald: Die Kunst des 18. Jahrhunderts. Sonderausgabe Berlin 1990.Vom Glück des Lebens. Französische Kunst des 18. Jahrhunderts aus der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, herausgegeben von Erika Rödiger-Diruf u. a. Ausstellungskatalog Städtische Galerie, Karlsruhe. Ostfildern 1996.
Universal-Lexikon. 2012.